Funktionsweise einer Differenzialsperre
Die Aufgabe und Funktionsweise einer Differenzialsperre ist eine komplexe Angelegenheit. Bevor im Einzelnen darauf eingegangen wird, soll als notwendige Ausgangsbasis zunächst ein "normales" (offenes) Differenzial ohne Sperre betrachtet werden.
Offenes Differenzial (ohne Sperrwirkung)
In jedem PKW ist an der angetriebenen Achse ein sogenanntes "Differenzial" verbaut. Es ermöglicht dem Namen entsprechend bei Bedarf differenzierende (unterschiedliche) Raddrehzahlen an den Antriebsrädern. Ein solcher Bedarf besteht, wenn das Fahrzeug eine Kurve fahren soll. Das kurvenäußere Rad muss dabei im Verhältnis zum inneren Rad eine weitere Strecke zurück legen. Je enger die Kurve, desto größer die Differenz der Wegstrecken der beiden Räder.
Hier ein sehr anschauliches und leicht verständliches Video zur Funktionsweise eines Differenzials.
Im normalen Strassenverkehr ist ein offenes Differenzial also ideal, um komfortabel und mit wenig Reifenverschleiß sowie geringer Belastung für die Antriebswellen eine Kurve fahren zu können.
Es ermöglicht den beiden Antriebsrädern beliebige unterschiedliche Drehzahlen und verteilt das Drehmoment immer zu identischen Teilen an die beiden Räder.
Nachteile und Grenzen eines offenen Differenzials
In bestimmten Situationen und v.a. bei sportlicher Fahrweise stößt das System aber auf konstruktionsbedingte Grenzen und offenbart negative Eigenschaften.
Bei schneller Kurvenfahrt wird das kurveninnere Antriebsrad stark entlastet, kann weniger Drehmoment übertragen und limitiert damit auch das Drehmoment des äußeren, stärker belasteten Rades, welches noch große Traktionsreserven hätte.
In Kombination mit kräftigem Gaseinsatz tendiert das innere Rad zum Durchdrehen! Wenn das innere Rad durchdreht, kann es aber kaum bis gar kein Drehmoment mehr übertragen und dadurch bricht auch das Drehmoment das äußeren Rades auf das Niveau des durchdrehenden Inneren ein! Nun muss vom Fahrer das Gas entsprechend reduziert werden, bis das durchdrehende Rad wieder ausreichend Traktion hat und Drehmoment übertragen kann. Erst dann kann wieder beschleunigt werden.
Neben der beschriebenen sportlichen Kurvenfahrt kann dieser Effekt auch bei sehr unterschiedlicher Fahrbahnbeschaffenheit auftreten. Wenn beispielsweise ein Rad auf einer Eisplatte steht und das andere auf "gutem" Asphalt, hat man mit einem offenen Differenzial Mühe, das Fahrzeug von der Eisplatte zu manövrieren weil jeder Gaßstoß in einem durchdrehenden Rad resultiert, welches auch am anderen Rad das Drehmoment und damit den Vortrieb einbrechen lässt.
Sofern ein angetriebenes Rad in der Luft "hängt" (stark verschränkte Serpentinenkurve, Parken auf dem Bordstein, ...), kann es naheliegenderweise kein Drehmoment übertragen und das Fahrzeug kann in der Situation keinen Vortrieb entwickeln.
Differenzialsperre
Die konsequenteste Variante einer Differenzialsperre und das genaue Gegenteil eines Differenzials ist der starre Durchtrieb! Das Differenzial wird also komplett deaktiviert (z.B. zuschaltbare Sperre in Geländewagen oder dauerhaftes Blockieren der Ausgleichsbewegung durch Festschweissen der Zahnräder im Ausgleichsgehäuse). Diese Variante hat aber den gravierenden Nachteil, auch dann eine Ausgleichsbewegung zu unterbinden, wenn diese gewünscht ist (beim Kurven fahren). Die Raddrehzahlen beider Räder sind IMMER identisch. Das Drehmomentverhältnis kann beliebig variieren. Das führt zu einem sehr untersteuernden, schlecht einlenkenden Fahrverhalten... das Fahrzeug will tendenziell immer geradeaus fahren. Dazu führt diese Variante zu einer erheblichen Be- bzw. Überlastung der Antriebswellen, die für die auftretenden großen Belastungen nicht ausgelegt sind. Auch der Reifenverschleiss ist beträchtlich erhöht.
Es wäre also ein System wünschenswert, welches einerseits die vorhandenen und notwendigen Vorteile des Differenzials weitestgehend beibehält, aber die für sportliche bzw. extreme Fahrweise gravierenden und nicht hinnehmbaren Nachteile möglichst gut ausmerzt.
Ein adäquates Sperrdifferenzial muss also weiterhin Drehzahlunterschiede der Räder in einem gewissen Rahmen ermöglichen, gleichermaßen sollte es bei Bedarf auch möglichst variabel und asymmetrisch das Drehmoment dorthin verteilen können, wo es in Vortrieb umgewandelt werden kann, also zum Rad mit dem höheren Gripniveau.
Um diese Ziele zu realisieren, gibt es unterschiedliche Typen von Systemen zur variablen Sperrung des Differenzials bzw. asymmetrischen Verteilung von Drehmoment, die jeweils ihre spezifischen Vor- und Nachteile haben und je nach Einsatzzweck und Prioritätensetzung gezielt ausgewählt und verwendet werden sollten!
Die verbreitetsten Systeme werden auf der Seite Varianten näher beleuchtet!
Nachteile einer Differenzialsperre
Es stellt sich die Frage, wieso so wenige aktuelle Fahrzeuge noch mit Sperrdifferenzialen ab Werk ausgestattet werden? Leider haben Differenzialsperren nicht nur Vor- sondern auch gravierende Nachteile. Diese Nachteile sprechen (v.a. aus Sicht eines Fahrzeugherstellers) auch gegen die Verwendung von Differenzialsperren:
- Verschlechterung des Wirkungsgrads
Wenn etwas „sperrt“ ist das aus Effizienz-Sicht immer schlecht. Durch die Reibung entsteht zusätzlicher Widerstand und Abwärme. Dadurch ergibt sich minimaler Mehrverbrauch und ein schlechterer CO2-Wert. - "Kritisches" Fahrverhalten bei schwierigen Bedingungen (Eis/Schnee/Nässe)
Für einen „Normalfahrer“ ist ein offenes Differenzial einfacher zu fahren, weil in einer Extremsituation ein Rad frühzeitig durchdreht (was dann die Elektronik i.d.R. mit einem Bremseingriff wegregelt) und dann nichts mehr weiter passiert. Wenn aber wegen der Sperre beide Räder gleichzeitig durchdrehen, geht es (unfreiwillig) quer und/oder die Elektronik muss gegen die mechanische Sperre ankämpfen. - Teuer im Einkauf
Ein offener Ausgleichskörper ist auch für den Fahrzeughersteller deutlich preiswerter einzukaufen als ein Sperrkörper… und wie viele Neuwagenkäufer fragen beim Kauf wohl nach einem Sperrdifferenzial oder machen gar ihren Kauf davon abhängig! Einen Mehrpreis wird der Kunde also kaum akzeptieren. - Geräusche im normalen Fahrbetrieb
Eine intakte Sperre (ausgenommen Torsen-Differenzial) macht in engen Kehren oft Geräusche. Es gibt spezielle Öle und Ölzusätze, die diese Geräusche reduzieren, aber ggf. bleibt ein störendes Schleifgeräusch hör- und spürbar. Viele Kunden akzeptieren dies nicht bzw. vermuten einen Defekt des Differenzials. - Ölwechsel notwendig
Bei Sperrdifferentialen muss das Öl in regelmäßigen Abständen gewechselt werden. Offene Differenziale kommen heutzutage i.d.R. mit einer „lifetime“-Füllung. Ölwechseln kostet den Kunden Geld und nervt! - Verschleiss
Sperren sind Verschleissteile, die nicht ewig halten und dann teuer revidiert oder ersetzt werden müssen. Das kostet wieder Geld und nervt den Kunden erneut. Offene Differentiale halten i.d.R. ein Autoleben lang!